Persecuted Minorities First! US-Regierung verstärkt Hilfe für Iraks Christen, Yeziden und Schiiten!

Immer mehr grausige Details der Schreckensherrschaft des Islamischen Staats kommen derzeit nach und nach ans Licht. Anfang der Woche fand man im Irak in den Regionen Anbar, Kirkuk, Salahuddin und Nineve mehr als 200 Massengräber mit ca. 12.000 Leichen. Sie stammen aus der Zeit von 2014 bis 2017, als diese Regionen sich unter der Kontrolle des IS befanden. Das Büro des UNO-Hochkommissariats für Menschenrechte sprach wortwörtlich von einem „Vermächtnis des Terrors“.

Bei den Opfern handelt es sich meist um Angehörige der christlichen (hauptsächlich syrisch-orthodoxe sowie chaldäische Christen aber auch einige Angehörige armenischer Kirchen) und yezidischen Minderheiten sowie um schiitische Muslime.

Laut Berichten der UN, Open Doors und lokaler Beobachter aus den Jahren 2014 und 2016 wurden in diesem Zeitraum mehrere tausend Yeziden, irakische Christen und Schiiten getötet sowie insgesamt eine weitere halbe Million verschleppt oder vertrieben.

Im Februar 2016 hatte die Europäische Union, einen Monat später gefolgt von den USA, die Verbrechen des IS gegen diese Religionsgemeinschaften als Völkermord eingestuft.

Yezidin Nadia Murad ist wahrscheinlich das prominenteste Opfer der Verbrechen des IS.

Am 5. Oktober wurde ihr der Friedensnobelpreis verliehen. Bereits zwei Jahre zuvor wurde sie zur Sonderbotschafterin der UNO ernannt.

Schon wenige Wochen vor der Entdeckung dieses Terrorvermächtnisses war es ausgerechnet die, in Deutschland verpönte, US-Regierung von Präsident Donald Trump, die eine Verdopplung der Hilfszahlungen an die betroffenen Minderheiten sowie weitere Schritte zu deren Unterstützung angekündigt hatte. Einrichtungen und Organisationen mit Sitz in den kurdischen Metropolen Erbil und Dohuk kommt dabei eine besondere Rolle zu.

 

Kritik an mangelhafter Umsetzung

Letztes Jahr hatte US-Vizepräsident Mike Pence versprochen, dass verfolgte Christen im Irak über die US-amerikanische Agentur für Internationale Entwicklung (USAID) und durch, in der Region aktive, religiöse Organisationen direkte Hilfe erhalten sollen.

Ein Jahr später haben USAID, das US-Außenministerium und einige Mitglieder des Kongresses ihre Bemühungen verstärkt, um sicherzustellen dass Hilfe aus den USA wirksam und gezielt, bevorzugt den dezimierten christlichen Gemeinschaften im Irak zu Gute kommt.

Allerdings beklagen einige bedeutende christliche Würdenträger in der Region, dass die Bemühungen der US-amerikanischen Hilfsorganisationen nachgelassen haben.

Seit dem Jahr 2003 ist die christliche Bevölkerung des Irak von 1,5 Millionen Menschen auf 200.000 geschrumpft.  Der chaldäische Erzbischof Habib Nafali erklärte kürzlich in einem Interview mit dem katholischen Nachrichtendienst CNS, dass eine weitere Verfolgungswelle nach 2000 Jahren das Ende für Iraks Christen, eine der ältesten christlichen Gemeinschaften der Welt, bedeuten würde.

Wichtige chaldäische Geistliche begrüßten den Schritt, kritisierten aber die bislang mangelhafte Umsetzung.

Der chaldäische Erzbischof Bashar Warda sagte gegenüber dem NC Register im Juni, dass sich die Hilfssituation seit dem ersten Versprechen des US-Vizepräsidenten sogar verschlechtert habe. Dabei kritisierte er Probleme bei der Entscheidungsfindung durch USAID-Beamte, wenn es darum ginge die Hilfszahlungen zu verwalten. USAID würde Projektvorschläge örtlicher Kirchen ohne weitere Erklärung ablehnen, so Erzbischof Warda weiter.

Ebenfalls heftige Kritik kam jüngst von Raphael Sako, dem Patriarchen der chaldäischen Kirche. Mitte Oktober erst ordnete er auf der Jugendsynode des Vatikan die US-Hilfe als ineffektiv ein, und sagte wortwörtlich: „bislang kam [von der US-Regierung] nichts, was diesen Menschen die Rückkehr in ihrer Heimat ermöglichen würde.“

 

300 Millionen US-Dollar für verfolgte Minderheiten

Jedoch, kündigte USAID noch am Tag der Kritik Sakos an, mehr als 178 Millionen US-Dollar (ca. 156 Millionen Euro) US-Auslandshilfe zur Unterstützung irakischer Christen und anderer bedrohter Gemeinschaften des Landes zur Verfügung zu stellen. Insgesamt würden sich die Hilfszahlungen somit auf beinahe 300 Millionen US-Dollar (ca. 263 Millionen Euro) belaufen, hieß es seitens USAID und des US-Außenministeriums.

Mark Green, Verwalter von USAID, sagte auf der Synode gegenüber der Presse, dass er die Kritik von Kardinal Sako nicht nachvollziehen könne. Als Reaktion auf seine Kritik traf er sich mit ihm im Vatikan, um einen Fortschrittsbericht zu erarbeiten und vorzulegen.

In einem Interview mit Lauren Ashburn vom, weltweit größten, katholischen TV-Sender EWTN berichtete Green am 17. Oktober von seinem Treffen mit Kardinal Sako. Gegenüber Ashburn und EWTN gab Green an, er habe Sako „auf eine Menge guter Nachrichten aufmerksam gemacht“ und fügte hinzu: „Ich glaube, er hat sich darüber sehr gefreut.“

Green betonte außerdem: „Was wir versuchen, ist die Zusammenarbeit mit Gruppen vor Ort, und nicht nur in Rom oder Washington, sicherzustellen. […], sodass wir unsere Ressourcen möglichst effektiv mobilisieren und einsetzen können, aber auch um nachweisbare Ergebnisse zu erzielen.“

Nachdem bekannt wurde, dass Nadia Murad der Nobelpreis verliehen wird, hatte derselbe Mark Green die Yezidin auf Twitter als „Heldin in einer Welt, die durch bewaffnete Konflikte auseinandergerissen wird“ und „Inspiration zur Erfüllung der moralischen Pflicht, Kinder zu beschützen“  bezeichnet.

 

Strukturelle Hilfe vor Ort

USAID-Sprecher Clayton McCleskey betonte gegenüber dem NC Register einige aktuelle Fortschritte, die die Organisation bei der Unterstützung der christlichen Gemeinschaften im Irak vor Ort gemacht habe.

Er verwies diesbezüglich auf die Ernennung eines neuen „Sonderbeauftragten für Minderheitenhilfe“ durch Green. Max Primorac, der in Erbil (Nordirak / Südkurdistan) ansässig ist, habe ausdrücklich den Sonderauftrag, mit lokalen Führungspersönlichkeiten und ihren Gemeinschaften in Kontakt zu treten, um so sicherzustellen, dass die US-Hilfe wirklich diejenigen erreicht, die sie am dringendsten benötigen.

Erst zu Anfang der zweiten Hälfte des Monats Oktober ermöglichte USAID die Wiedereröffnung der Straße in die chaldäisch-christliche Stadt Batnaya in der Ninive-Ebene. Durch diese infrastrukturelle Maßnahme soll die Rückkehr der Christen in ihre Heimatstadt erleichtert werden. Ein großer Teil der ursprünglichen Bevölkerung befindet sich weiterhin in den Nachbarstädten. Wie alle Nicht-Sunniten der Region, wurden sie vertrieben, als der IS im August 2014 die Ninive-Ebene stürmte und eroberte.

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Im Frühjahr 2017 empfing Nêçîrvan Barzanî, Ministerpräsident der Autonomen Region Kurdistan, in Erbil mehrere christliche Delegationen, um mit ihnen darüber zu beraten, wie das Überleben ihrer Gemeinschaften im Irak gewährleistet werden kann. An diesem Treffen nahm auch der namhafte libanesische Politiker Gebran Bassil teil. Einen Bericht über das Treffen betitelte Agora Leaks mit diesem Bild. (siehe: https://agoraleaks.com/?p=15198)

Erzbischof Warda hatte noch im Juni in seinem Interview mit dem NC Register die Unzugänglichkeit der Stadt besonders bedauert. Nun lobte er USAID und die anderen Organisationen, die mit den, am Wiederaufbau beteiligten, Parteien kooperieren.

McCleskey hob auch ein kürzlich herausgearbeitetes „Memorandum of Understanding“ (MOU) zwischen den „Kolumbusrittern“ und USAID hervor. Darin vereinbaren die beiden Gruppen eine Zusammenarbeit auf internationaler Ebene. Das Memorandum sieht vor, hilfsbedürftige Bevölkerungsgruppen gezielt zu ermitteln und ihnen zu helfen, lokale Akteure einzubinden, den Pluralismus zu fördern und gemeinsame Schritte zur Verhinderung künftiger Gräueltaten zu unternehmen.

Joseph Cullen erklärte, stellvertretend für die Kolumbusritter, gegenüber dem Register, dass die Gruppe mehr als 700.000 US-Dollar für Projekte zur Verfügung stellt, die gemeinsam mit USAID entwickelt wurden, und speziell an die Bedürfnisse irakischer Christen und anderer religiöser Minderheiten angepasst sind.

Er sagte, die Mittel würden es ermöglichen den, vorwiegend yezidischen, Binnenflüchtlingen in Dohuk psychosoziale Dienste zur Seite zu stellen. Darüber hinaus soll daraus ein Zentrum für Eigentumsrechte an der katholischen Universität von Erbil mitfinanziert werden, das Christen und Yeziden dabei unterstützt ihre Eigentumsrechtsansprüche geltend zu machen. Ebenfalls sollen die Hilfsgelder dazu dienen, christliche Friedhöfe zu restaurieren, die der IS sowohl im Norden als auch im Süden der Ninive-Ebene zerstört und entweiht hat.

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Christliche Frauen im Irak demonstrieren im Juni 2017 für Religionsfreiheit und besseren Schutz ihrer Religionsgemeinschaft. Sie tragen Transparente mit dem arabischen Buchstaben „ن“. Er entspricht dem lateinischen „N“ und steht für „Nasrani“ („Nazarener“), wie arabische Muslime Christen bezeichnen. In Zeiten der IS-Herrschaft über die Ninive-Ebene und Mosul markierten die sunnitischen Fundamentalisten Häuser von Angehörigen der christlichen Minderheiten mit diesem Buchstaben. Wessen Haus markiert war, hatte die Wahl zwischen Tod, Vertreibung, Konversion zum Islam oder Zahlung einer „Schutzsteuer“, der sog. „Dschizya“. Bild: Baghdad Today Direktlink: http://baghdadtoday.news/MediaStorage/GalleryImages/6126.jpg?watermark=4

 

Gesetz soll humanitäre Priorität verfolgter Minderheiten garantieren

Während die Trump-Administration bestrebt ist, ihre Partnerschaften vor Ort auszubauen, um die Versorgung mit Direkthilfe dort zu gewährleisten, wo sie am dringendsten benötigt wird, plädieren einige Kongressabgeordnete bereits für zusätzliche Lösungen, um verfolgte Minderheiten im Irak langfristig zu unterstützen.

Der republikanische Abgeordnete Jeff Fortenberry aus dem US-Bundesstaat Nebraska hatte Anfang des Monats Oktober eine Resolution in das Plenum eingebracht, in der die USA aufgefordert werden, „einen koordinierten und umsetzbaren Plan für eine Stabilisierungs- und Sicherheitsmission in der Region zu entwickeln“ und „reguläre nationale militärische Strukturen“  zu trainieren und auszubilden, zu denen auch „regionale christliche und yezidische Sicherheitskräfte“ gehören sollen.

Fortenberry teilte dem NC Register mit, dass die Sicherheitsresolution ein „besonderes Augenmerk auf die Notsituation unterdrückter religiöser Minderheiten im Irak legt, die immer noch im Begriff sind sich vom Völkermord durch den IS zu erholen.“

Fortenberry war bereits im Juli in den Irak gereist, um die Effektivität der US-Hilfsmaßnahmen zu begutachten und auszuwerten. Dazu sagte er, dass Änderungen vorgenommen wurden, und man dabei sei, den Weg für eine direktere Versorgung zu ebnen, was zum Wohle aller Beteiligten geschehe.

Er betonte jedoch gleichzeitig, dass eine, von der internationalen Gemeinschaft initiierte aber von den Irakern selbst umgesetzte, Sicherheitsvereinbarung unbedingt erforderlich sei, um die Nachhaltigkeit der Wirtschaftshilfe zu gewährleisten.

Ein weiteres wichtiges Kernstück der Reformbemühungen, die darauf abzielen den Opfern des IS im Irak zu helfen wurde am 11.Oktober einstimmig vom US-Senat verabschiedet. Um zu geltendem Recht zu werden, fehlt nun noch die Unterschrift durch US-Präsident Donald Trump, was allerdings reine Formsache sein dürfte.

Der, vom Republikaner Chris Smith eingebrachte, Entwurf für ein „Hilfs- und Verantwortungsgesetz zum Völkermord im Irak und Syrien“ verpflichtet die USA bei der Zuteilung von Hilfsgütern und -leistungen dazu, die Opfer des IS zu bevorzugen. Außerdem nimmt es das US-Außenministerium in die Pflicht, Beweise für den Völkermord des IS an den Minderheiten des Irak  zu sammeln, sowie die Bemühungen anderer Staaten bei der Verfolgung der Verantwortlichen und Hintermänner dieses Genozids zu unterstützen.

Smith teilte dem NC Register mit, dass die Verabschiedung seiner Gesetzesvorlage ein bedeutender Schritt nach vorne sei, um sicherzustellen, dass die US-Politik allen Opfern des IS-Völkermords hilft und niemanden außer Acht lässt.

Er sagte außerdem: „Da die USA aktuell daran arbeiten, Obamas Politik zu korrigieren, die diese Gemeinschaften von Hilfsleistungen ausgeschlossen hat, ist die Verabschiedung meines Gesetzesentwurfs durch den Kongress  ein klarer Auftrag an die Regierung. Er beinhaltet die Bereitstellung von humanitärer und infrastruktureller Aufbauhilfe, um so das Überleben der Minderheiten in Zukunft zu gewährleisten. Außerdem sollen jene zur Rechenschaft gezogen werden, die für die Grausamkeiten verantwortlich sind.“ 

Alles in allem ist Smith zuversichtlich, dass die Bemühungen der USA für die Region auf dem richtigen Weg sind.

Smith fügte hinzu: „Ich werde weiter Gespräche mit der Regierung führen, um sicherzustellen, dass die US-Hilfe auch die Überlebenden des ISIS-Völkermords erreicht, welche sie dringend brauchen. Alles, was ich in letzter Zeit gesehen habe, deutet darauf hin, dass die USA tatsächlich auf dem richtigen Weg sind, um den Bedürfnissen von Christen und anderen Überlebenden des Völkermords im Irak gerecht zu werden. Die Not und allgemeine Bedürftigkeit dieser Gemeinschaften sind groß, aber wir haben alles in die Wege geleitet, um unser Versprechen zu erfüllen, Katastrophenhilfe bereitzustellen.“

Darüber hinaus soll Smith‘ Gesetzesinitiative es Angehörigen religiöser Minderheiten, die vom IS verfolgt werden, leichter machen, als Flüchtlinge in die USA einzureisen. Um den Grundstein dafür zu legen, beschreibt das Gesetz sie als von „besonderer humanitärer Wichtigkeit für die Vereinigten Staaten“. Diese Priorisierung ist auch eine radikale Wende gegenüber der Politik des ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama, der Minderheiten außer Acht ließ, und stattdessen sunnitischen Muslimen aus Syrien bevorzugten Flüchtlingsstatus verlieh.

 

Bundesregierung: 50 Millionen Euro nach Idlib statt für verfolgte Minderheiten

Währenddessen hat die deutsche Bundesregierung kurz nach dem Syriengipfel in Istanbul Ende Oktober angekündigt, der syrischen Opposition in Idlib knapp 50 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen. Zwar betont man seitens Berlin die Empfänger der Zahlungen seien humanitäre und zivile Organisationen, und man wolle „engmaschig überwachen“, dass nicht auch extremistische Kräfte von den Geldern profitieren. Kenner der Region halten das für unrealistisch, weil es außerhalb der Kurdengebiete de facto keine oppositionelle Kraft in Syrien gibt, die nicht mindestens logistisch und infrastrukturell von dschihadistischen Milizen abhängig sind. In der Region Idlib sieht es aktuell so aus, dass sie zu über der Hälfte vom, Al-Kaida-Ableger und Al-Nusra-Nachfolger Hayat Tahrir asch-Scham, kurz HTS, kontrolliert wird. Den Rest der nordwestlichsten Provinz Syriens kontrollieren Milizen, die der Türkei nahe stehen.

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Selbst wenn man letztgenannte nicht immer zwangsläufig und generell als dschihadistisch bezeichnen kann, darf kein Zweifel darüber bestehen, dass ihre Agenda gegenüber jenen Minderheiten, die nun im Irak von den Bemühungen der USA profitieren, und die auch in Syrien beheimatet sind, diskriminierend und feindlich ist.

Vergleicht man also das angekündigte, zwischen Anspruch und Wirklichkeit unstimmige und widersprüchliche, Wirken der deutschen Bundesregierung in Idlib mit der, nahezu zeitgleich beschlossenen, Verstärkung des Engagements der USA für verfolgte Minderheiten im Irak, so muss eine logische Schlussfolgerung sein, weit verbreitete Gut-Böse-Schemata der Außenpolitik und außenpolitischen Berichterstattung ganz massiv zu hinterfragen.

Medienmacher, die sich gefühlt wöchentlich an Tweets des US-Präsidenten abarbeiten, denen aber gleichzeitig notwendige und konsequente Schritte seiner Regierung zum Minderheitenschutz im Krisengebiet nicht einmal eine Randnotiz wert sind, sollten ihre Berufswahl in Frage stellen.

Und wenn es die Bundesregierung mit ihrer humanitären Selbstinszenierung tatsächlich ernst meint, täte sie in diesem Fall besser daran dem Beispiel der USA zu folgen.

Minderheiten, die das Vermächtnis des IS-Terrors am schwersten getroffen hat, besondere humanitäre Priorität einzuräumen, sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein!

 

Belege:

Geiselnahme als Bestandteil türkischer Staatsdiplomatie

Am Wochenende des 13. / 14. Oktober 2018 kam der evangelikale US-Pastor Andrew Brunson nach zwei Jahren aus türkischer Haft frei.

Dem Fall ging ein monatelanges, diplomatisches Tauziehen voraus.

Ob es zu Gegenleistungen seitens der USA für die Freilassung kam, ist nicht ganz klar. Hier widersprechen sich die Statements Ankaras und Washingtons, ohne dabei aber Konkretes preiszugeben.

 

Fakt ist aber in jedem Fall, dass die Taktik der AKP nicht aufgegangen ist, und Trump im Clinch mit  Erdoğan mindestens einen klaren Punktsieg landen konnte.

Was war passiert, und in welchen größeren Kontext sind die Geschehnisse einzuordnen?

 

Alibivorwurf um systematische Verfolgung durchzuführen

Im August 2018 kündigte US-Präsident Trump verärgert an, Sanktionen gegen die Türkei und gegen den türkischen Innen- und Justizminister verhängen zu wollen.

Was war der Grund für Trumps Wut?

Sie wurde ausgelöst durch die Weigerung Ankaras, Andrew Brunson aus der Haft zu entlassen.

Andrew Craig Brunson ist ein Pastor, der vor zwei Jahren in der Türkei wegen „Unterstützung terroristischer Organisationen“ verhaftet wurde.

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Pastor Adrew Craig Brunson saß zwei Jahre lang in der Türkei in Haft, Bild gefunden auf yekirmedia.am (http://yerkirmedia.am/wp-content/uploads/2018/07/endrew-brunson-turkey3-1.png)

Ende Juli diesen Jahres durfte er nach zwei Jahren Untersuchungshaft in seine Wohnung zurückkehren, stand aber danach bis Mitte Oktober unter Hausarrest.

Dem Leiter der evangelikalen Wiederauferstehungskirche im westtürkischen Izmir wird zum Einen vorgeworfen, er habe als Teil der Hizmetçi-Bewegung um, den islamischen Prediger und ehemaligen Weggefährten des türkischen Machthabers Erdoğan, Fetullah Gülen, den vermeintlich versuchten Staatsstreich im Juli 2016 unterstützt.

Hier handelt es sich um eine Art Alibivorwurf, der seit dem Sommer vor zwei Jahren als Vorwand für eine systematische Verfolgung ebenfalls von oppositionellen Politikern, Aktivisten und Journalisten dient.

Seit Anfang September teilt beispielsweise der linke, österreichische Journalist Max Zirngast dieses Schicksal.

U.a. der Fall des, in Berlin lebenden, Adil Öksüz zeigt darüber hinaus, dass die Verfolgung unter genanntem Vorwand nicht an den türkischen Grenzen Halt macht.

Brunson wurde außerdem vorgeworfen, die „Gründung eines christlich-kurdischen“ Staates propagiert zu haben.

Akteneinsicht wurde der US-Regierung auf Nachfrage verweigert. Die türkische Seite berief sich in seinem Fall offenbar lediglich auf einen, geheim gehaltenen, Belastungszeugen.

Seinerzeit, reagierte Erdoğan persönlich auf die Sanktionsdrohung seitens Washingtons.

Er ließ sinngemäß verlauten, man würde sich von dieser „Drohsprache“ in „evangelisch-zionistischer Mentalität“ nicht beeindrucken lassen.

Tatsächlich schien es dem AKP-Regime weniger um Brunson zu gehen, als vielmehr um Gülen persönlich, der im US-Bundesstaat Pennsylvania im Exil lebt.

Die Botschaft an das Weiße Haus lautete offensichtlich: „Ihr könnt euren Pastor haben, wenn ihr uns unseren Prediger ausliefert“.

 

Minderheiten sind Dauergeiseln Ankaras

Geiselnahme als Druckmittel zu benutzen, ist in der türkischen Diplomatie seit 97 Jahren Normalität.

Im Fall Deniz Yücel forderte Ankara die Auslieferung mehrerer türkischer Offiziere, die nach Deutschland geflüchtet waren und dort um Asyl ersucht hatten.

Das AKP-Regime wendete diese Taktik ebenfalls im Falle zweier, im März inhaftierter, griechischer Soldaten an. Sie sollten nur frei kommen, falls Athen im Gegenzug der Auslieferung von acht türkischen Soldaten zustimmt, die im Juli 2016 mit einem Hubschrauber ins griechische Alexandroupolis geflüchtet waren.

Die, in der Türkei lebenden, griechischen, armenischen und jüdischen Minderheiten wurden im Laufe der Geschichte vom türkischen Staat immer wieder als Geiseln bzw. Druckmittel missbraucht. Die religiösen und kommunalen Führer dieser drei Minderheiten werden dabei stets unter Druck gesetzt, der Regierung ihre Treue zu erklären, obschon ihre Gemeinschaften unter offen diskriminierenden Bedingungen leiden, von Gesetzeswegen benachteiligt sind, und durch staatlich propagierten  Geschichtsrevisionismus gedemütigt werden.

In Krisenzeiten wächst der Druck auf Geiseln besonders stark an. Jüngst zeigte die Affäre um Pastor Brunson dies wieder einmal besonders deutlich.

Kurz nachdem Trump die Freilassung des Pastors verlangte, führte ein Berater Erdoğans alle religiösen Führer der genannten Minderheiten, also den armenischen und griechischen Patriarchen sowie den jüdischen Oberrabbiner, der Presse vor.

Im Rahmen dieser, im wahrsten und doppelten Sinne des Wortes, Vorführung, unterzeichneten sie eine Erklärung, dass „Minderheiten in der Türkei glücklich leben sowie völlig frei und ohne jeglichen Druck ihre Religions- und Bürgerrechte ausüben können“. Obwohl es zugegebenermaßen auch Fälle gibt, in denen der Staat nicht einmal Druck aufbauen muss, sondern ihm einfach nur das Stockholm-Syndrom in die Hände spielt, sprechen der Zeitpunkt und die Umstände der Präsentation dieser Erklärung Bände.

Das Gegenteil dessen, was in ihr so krass überbetont wird, ist nämlich der Fall.

Dieses Muster wiederholt sich immer und immer wieder in der Geschichte der Türkei.

Während der Zypernkrise in den 1960er und 1970er Jahren musste der griechische Patriarch in Istanbul seine Landsleute verurteilen, und die türkische Invasion im Norden der Insel loben.

Als der deutsche Bundestag 2016 den Völkermord an den Armeniern und die besondere deutsche Mitverantwortung dafür anerkannte, verurteilte der amtierende armenische Patriarch von Istanbul diese Entscheidung, und verteidigte die türkische Staatsdoktrin der Geschichtsfälschung.

Wenn Israel Schritte gegen Palästinenser oder Muslime im Allgemeinen unternimmt, bezahlt die jüdische Minderheit in der Türkei dafür. Staatlich mindestens geduldete Angriffe und Vandalismus gegen jüdische Synagogen, Geschäfte und Häuser finden in der Türkei regelmäßig statt, wenn die, mittlerweile überwiegend von der AKP kontrollierten, Medien über den Nahostkonflikt berichten. Wenn dieselben Medien Griechenland vorwerfen, seine muslimischen Bürger, vor allem die westthrakischen Türken, ungerecht zu behandeln, muss die kleine griechische Minderheit in Istanbul ebenfalls jene subtile Form von staatlicher Verfolgung fürchten.

Manchmal wird auch eine Geisel gegen die andere Geisel, bzw. eine Minderheit gegen die andere, ausgespielt. Als Armenier weltweit begannen, für die parlamentarische Anerkennung des Völkermords an ihren Vorfahren einzutreten, wurden führende Persönlichkeiten der Istanbuler Juden unter Druck gesetzt, um bei jüdischen Parlamentariern diverser Staaten und anderen einflussreichen politischen Führern aktiv zu intervenieren, um die Völkermordsanerkennung zu stoppen. Die Führungspersönlichkeiten der jüdischen Minderheit in Istanbul beispielsweise wurden vom türkischen Staat gedrängt, wichtige Institutionen und Persönlichkeiten der jüdischen Gemeinschaft in den USA dafür zu gewinnen, gegen armenische und griechische Interessengruppen zu arbeiten.

 

Ein Brite war mehr wert als Gerechtigkeit für die Hinterbliebenen von drei Millionen Leichen

Aber der offensichtlichste und schmerzhafteste Fall von Geiselnahme in der Geschichte türkischer Staatsdiplomatie betrifft die politischen Drahtzieher des Völkermords an den Armeniern und weiteren Minderheiten.

Als der Erste Weltkrieg 1918 mit der Niederlage Deutschlands und seiner Verbündeten, darunter auch das Osmanische Reich, endete, eroberten die siegreichen Alliierten Istanbul und andere Regionen der heutigen Türkei.

In Zusammenarbeit mit den britischen Besatzungstruppen verfolgte die neue osmanische Regierung die Anführer des, von 1908 bis 1918 herrschenden,  Komitees für Einheit und Fortschritt (İttihat ve Terakki Cemiyeti) strafrechtlich vor Ort wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Massakern an ihren armenischen Bürgern. Die türkische und britische Polizei begann damit, Dutzende von führenden Ittihadisten festzunehmen, insofern sie nicht bereits geflohen waren. Wesentliche Hauptverantwortliche, wie Talaat, Enver und Cemal oder Dr. Mehmed Nâzım Bey, Dr. Mehmet Cemal Azmi Bey und Baheddin Cakir hatten sich bereits ins Ausland absetzen können. Sie wurden damals in zwei Prozessen in Istanbul in Abwesenheit zum Tode verurteilt.  Zwei, ebenfalls zum Tode verurteilte, Beamte niedrigeren Ranges, wurden im April 1919 auf dem Beyazid-Platz in Istanbul hingerichtet. Die türkische Öffentlichkeit war erbittert dagegen. Angesichts der zunehmenden Proteste gegen die Vollstreckung von Urteilen dieser Istanbuler Kriegsverbrecherprozesse, beschlossen die Briten alle inhaftierten Ittihadisten auf die britische Kolonie Malta im Mittelmeer zu bringen, um dort die Prozesse fortzusetzen. Fast 150 ehemalige osmanische Führungsfiguren wurden auf Malta interniert. Beinahe alle von ihnen waren aktiv an Massakern und Deportationen von Armeniern aus verschiedenen Regionen Anatoliens beteiligt. Einige hatten es zu beträchtlichen Vermögen gebracht, die sie gestohlenem Eigentum, Besitz und Land von ermordeten oder deportierten Armeniern verdankten.

Zwischenzeitlich hatte in Anatolien die türkische Widerstandsbewegung unter Mustafa Kemal „Atatürk“ begonnen. Die Istanbuler Regierung galt ihr als Marionettenregime, das den alliierten Besatzungstruppen gegenüber zu wohlwollend eingestellt war. Mustafa Kemal und die neu gebildete Regierung in Ankara forderten die Freilassung der, auf Malta gefangenen, Ittihadisten. Die Alliierten hatten damals den britischen Oberst Rawlinson in die Türkei geschickt, um die Situation in Ostanatolien im Vorfeld der Friedensverhandlungen von Sèvres zu beurteilen. Rawlinson hatte sich mit Mustafa Kemal, sowie weiteren militärischen und politischen Schlüsselfiguren seiner Widerstandsbewegung getroffen. Der britische Oberst war mit der Nichte von Lord Curzon verheiratet. Dieser wiederum war britischer Außenminister und Hauptentscheidungsträger bei den Friedensverhandlungen. Atatürk verstand schnell, dass Rawlinson ein „wertvoller Fang“ für die Durchsetzung seiner Interessen sein könnte, und entschloss sich, ihn zu verhaften. Rawlinson diente als Faustpfand, um die gefangenen Kriegsverbrecher von Malta freizupressen. Nach mehreren Verhandlungsrunden begann der britische Entschluss, die maltesischen Gefangenen festzuhalten und ihnen den Prozess zu machen, zu bröckeln.

Die Taktik der Geiselnahme brachte Atatürk einen diplomatischen Erfolg ein, als Lord Curzon schließlich erklärte: „Ein Brite ist mehr wert als eine Schiffsladung von Türken.“

Eine irreführende Formulierung!

Aufgrund der Entscheidung, die er verkündete, hätte der Satz eigentlich: „Ein Brite ist wertvoller als Gerechtigkeit für  3 Millionen armenische, assyrische, aramäische, griechische und yezidische Leichen.“  lauten müssen.

Die Briten vereinbarten einen Gefangenenaustausch mit der türkischen Widerstandsbewegung. Zusammen mit 20 weiteren Kriegsgefangenen kam Oberst Rawlinson frei. Im Gegenzug kamen die 121 Ittihadisten ebenfalls frei. Im Oktober 1921 wurden die Gefangenen im Schwarzmeerhafen der Kleinstadt İnebolu gegeneinander ausgetauscht. Mit der Ausnahme von Oğuz Bey, der am 9. Februar 1920 in Istanbul zu fünf Jahren Haft verurteilt wurde,  wurden die befreiten Funktionäre des Komitees für Einheit und Fortschritt nie juristisch für ihre Kriegsverbrechen und ihre Rolle beim Völkermord an den Armeniern und anderen Minderheiten zur Rechenschaft gezogen. Auslieferungsgesuche an Deutschland, Italien oder die Erste und Zweite georgische Republik, wohin sich die, zum Tode verurteilten, Hauptverantwortlichen des Völkermords abgesetzt hatten, wurden ebenfalls nie gestellt.

Die staatliche Politik der Geiselnahme, die Leugnung historischer Verbrechen und die Repressionspolitik gegen Minderheiten und Oppositionelle haben spätestens seit dieser Zeit einen festen Platz in der Politik und Diplomatie türkischer Regierungen.

 

Merkel kniet vor Erdoğan, Trump spielt ihn aus

Wie effektiv Geiselnahme als Bestandteil türkischer Staatsdiplomatie nach nunmehr fast 100 Jahren immer noch funktioniert, konnte man bei der Pressekonferenz im Rahmen von Erdoğans Staatsbesuch in Deutschland Ende September eindrucksvoll beobachten. Ein türkischer Fotoreporter trug ein T-Shirt mit der Aufschrift «Freiheit für Journalisten in der Türkei». Für diese, eigentlich vollkommen selbstverständliche, Forderung wurde er, ganz nach dem Geschmack des türkischen Machthabers und ohne Widerspruch der Bundeskanzlerin, des Saales verwiesen.

Angela Merkel befindet sich weiterhin in „Erdogans politischer Geiselhaft“, wie Helmut Hubacher in der Basler Zeitung jüngst treffend feststellte. Sie hat sich durch den „Flüchtlingsdeal“ bereitwillig selbst dort hineinmanövriert. Daher muss sie einen Kniefall nach dem anderen vor Kleinasiens oberstem Nationalislamisten proben.

Im krassen Gegensatz dazu, scheint es ausgerechnet der unbeliebte US-Präsident Donald Trump zu sein, der der westlichen Welt zeigt wie man die AKP und die traditionelle staatlich-türkische Erpressungsdiplomatie erfolgreich aushebelt.

Denn unter dem Strich bleibt festzuhalten: Andrew Brunson ist wieder frei, Fetullah Gülen ist es weiterhin und beide befinden sich in den USA.

Trump hat seinen Pastor bekommen. Erdoğan hingegen musste auf die Auslieferung seines Predigers verzichten.

Wie genau der US-Präsident zu diesem Erfolg gekommen ist, bleibt wohl sein Geheimnis.

Ob es allein die Drohung mit Sanktionen war? Vielleicht?!

Man muss sich aber nicht wirklich weit aus dem Fenster lehnen, um behaupten zu können dass sein Rezept mit Sicherheit nicht „Appeasement-Politik“ hieß.

 

Zum besseren Verständnis und zum Weiterlesen:

 

  • Vosganian, Varujan (2017): The Book of Whispers, Yale University Press, S.159

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Westliche Kriegsspielzeuge der Saudis

Der Westen täte gut daran das Gegenteil davon zu tun, was die Saudis von ihm erwarten.

Führen wir uns zunächst einmal folgende Ironie vor Augen. Die USA, die EU und die NATO betrachten und inszenieren sich selbst als das Leuchtfeuer der Freiheit in der Welt.

Dennoch sind sie seit rund 70 Jahren mit einem der totalitärsten und repressivsten Regime des Planeten verbündet. Immer wieder haben vor allem Washington aber auch einige europäische Staaten im Nahen und Mittleren Osten als willige Vollstrecker Saudi-Arabiens fungiert.  Dutzende und Aberdutzende westliche Staats- und Regierungschefs begaben sich freiwillig ins Schlepptau von, Kufiyah tragenden, despotischen Königen. Die unzähligen Aufnahmen davon kann man getrost als Dokumente der Offenbarung westlicher Heuchelei bezeichnen.

Also, warum sind die Mainstream-Liberalen, Sozialdemokraten, Grünen und Linken nicht entsetzt über all das?

Nun, sie sind den militärisch-industriellen Lobbys ebenso rigide verpflichtet wie die uneinsichtigen Konservativen, Rechten und Neoliberalen.

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Titelseite der saudi-arabischen Tageszeitung Al-Madina vom 10.April 2018: Macron mit dem saudischen Kronprinzen im Louvre.

Vor nicht allzu langer Zeit, konnten Zyniker argumentieren, dass diese devote Anbiederung nötig sei, um das flüssige Gold der Saudis dem westlichen Durst danach zuzuführen. Dieses Argument wird aber immer brüchiger. Insbesondere in den USA sind die heimischen Energiequellen, wenn auch aus umweltpolitischer Sicht nicht ungefährlich, angeschwollen, und sowohl dort als auch in Europa schreitet die Technologie der erneuerbaren Energien fort. Dass der Nordatlantikpakt immer noch und gerade wieder verstärkt zu Riads Melodien tanzt, deutet auf etwas weit Beunruhigenderes hin! Entweder sind die politischen Entscheidungsträger der NATO-Staaten kriminell naiv, oder sie stimmen tatsächlich mit den Prioritäten saudischer Politiker überein. Es ist schwer zu sagen, was schlimmer wäre.

 

In letzter Zeit ist im Nahen Osten so viel passiert, dass es immer schwieriger wird, auf dem neuesten Stand der Information zu bleiben. Erst hatte US-Präsident Trump angekündigt, dass die USA Syrien „sehr bald“ verlassen würden. Dann, genau eine Woche später, wurden die Vorwürfe des Einsatzes von Giftgas gegen den syrischen Machthaber Bachar Al-Assad laut. Trump vollzog eine Wendung um 180° und twitterte eine Warnung, dass Raketen Syrien treffen werden.

 

Also, was ist jetzt Sache? Als Bevölkerung sind wir verdammt unbeteiligt zuzusehen und abzuwarten.

 

Was wir aber sicher wissen, ist was Saudi-Arabien will. Letzte Woche, während seiner ausgedehnten Public-Relations-Tour in die USA, sagte der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman (kurz „MBS“) gegenüber dem Time Magazine: „Wir glauben, dass die amerikanischen Truppen mindestens mittelfristig in Syrien bleiben sollten, wenn nicht sogar auf lange Sicht.“

Wie überaus großmütig von seiner Durchlaucht, seine Wolf-Im-Schafspelz-Charmeoffensive auch dazu zu nutzen, den US-Amerikanern zu sagen, wo und wo nicht ihre Truppen, tausende von Kilometern von der Heimat entfernt, wie lange zu töten haben bzw. getötet werden dürfen…

Offenbar wäre der Blaublütige aus dem Wahhabitenstaat sehr erfreut zu sehen, wenn das US-Militär ein Drittel von Syrien auf unbestimmte Zeit besetzen und dabei den gefährlich nahe stehenden russischen, syrischen und iranischen Streitkräften ins Auge sehen müsste.

Unbedingt sollte hier bedacht werden, dass das Militär der USA, zusammen mit seinen vielen verbündeten Milizen, dabei ständig nur einen kleinen Schritt von einem katastrophalen globalen Krieg entfernt ist.

Eine viel zu hohes Risiko nur um das Wohlwollen der Saudis nicht zu riskieren!

 

Die Besetzung Syriens ist eine Falle, ein Risiko, für das es keine Belohnung gibt.

Wenn Riad tatsächlich ein so großes Interesse an der Stabilität in Ostsyrien hat, warum treten dann nicht, von den USA und Europa bis an die Zähne bewaffnete, saudische Truppen an die Seite ihrer sunnitischen Glaubensbrüder?

Die Antwort ist gleichwohl einfach wie auch unschmeichelhaft und entlarvend für die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit westlicher Bündnispolitik.

Das saudische Militär ist zu sehr mit einem rechtlich, mehr als zweifelhaften Terrorkrieg gegen die Menschen im Jemen beschäftigt.

Außerdem ziehen es die saudischen Bodentruppen vor, sich die Hände nicht selbst schmutzig zu machen. Das tun sie allenfalls, wenn es darum geht, hilflose Frauen wegen „Zauberei“ auszupeitschen oder gar hinzurichten. Selbst im Jemen verlassen sich die Saudis mehr auf sudanesische Söldner denn auf die eigenen Streitkräfte, um den harten Kampf gegen die Huthi-Rebellen zu führen.

So geht der saudische Weg, und dieser Tage scheinen westliche Militärs die Lieblingsspielzeugarmeen der Kronprinzen zu sein.

 

Wir müssen uns klar vor Augen führen, dass jedes Mal, wenn westliche Staaten ihren saudischen Vorgesetzten gefolgt sind und die Gebote des Königshauses erfüllt haben, die Ergebnisse katastrophal waren. Keine dieser laufenden Operationen liegt im strategischen Interesse der USA, Großbritanniens, Frankreichs oder sonst eines westlichen Staates.

Dennoch katapultieren die Bande mit Riad westliche Truppen immer wieder auf die falsche Seite der Geschichte.

 

Im unmittelbaren Vorfeld der jüngsten Luftangriffe auf Syrien durch Frankreich, Großbritannien und die USA tourte MBS nicht nur, wie bereits erwähnt, durch die USA, sondern handelte mit dem, medial über alle Maßen als prototypischer Messias der europäischen „Wertegemeinschaft“ gefeierten, französischen Präsidenten Macron Wirtschaftsdeals im Wert von 14,5 Milliarden Euro sowie eine stärkere Abstimmung der Syrienstrategie aus. Ganz im Stile echter Aristokraten verbrachte man zunächst drei Stunden im Louvre und auch das streng abgeschirmte Abendessen durfte nicht fehlen. Der Krieg im Jemen, Menschenrechtsfragen oder die zweifelhafte, destabilisierende, saudische Rolle bei der Präsidentenfrage im Libanon wurden nicht thematisiert.

Ausgerechnet der Präsident des, in den letzten drei Jahren am härtesten von islamistischem Terror betroffenen, europäischen Landes, präsentiert sich als dekadenter Pionier einer Kooperation mit jenem Wahhabitenstaat, dessen religiös-fundamentalistische Ideologie Dünger für das Gedeihen von Terrorzellen rund um den Globus ist.

Vier Tage nach seinem Treffen mit den Saudis ließ der vermeintliche „Vollbluteuropäer“ aus dem Élysée-Palast dann zusammen mit US-Amerikanern und Briten Syrien bombardieren…

 

Hier sind nur drei besonders aktuelle Beispiele, in denen die Erfüllung der Gebote der Saudis zu, nachhaltig andauernden, Katastrophen geführt haben:

  • Im Jemen haben die Saudis selbst die aktuell, global, schlimmste humanitäre Krise im ärmsten Land der arabischen Welt ausgelöst. Die beschämende Aufgabe ihrer westlichen Alliierten, hier vor allem der USA, ist es dabei dem saudischen Oberkommando, Lenkraketen und Bordbetankungsdienste zur Verfügung zu stellen. Im Jemen, wie in so vielen anderen Ländern des Mittleren Ostens, sind die USA und ihre beteiligten NATO-Verbündeten kaum mehr als Luftwaffe und Logistiker der Saudis. Die Folgen all dieser Blockaden und Bombenangriffe waren und sind unerhört. Die schlimmste Choleraepidemie weltweit, eine sich zuspitzende Hungersnot und Zehntausende von Todesopfern. Abgesehen davon, dass ihre Komplizenschaft in diesem Terrorkrieg die Reputation westlicher Staaten in der Region wieder nachvollziehbar massiv verschlechterte, hat sie darüber hinaus durch die Stärkung des lokalen Al-Kaida-Ablegers AQAP die eigene innere Sicherheit verringert.
  • Nichts wünschen sich die Saudis mehr, als einen Krieg westlicher Staaten gegen den Iran. Amerikanisches, europäisches und iranisches Blut würde gegeneinander vergossen für nichts anderes als strategischen Gewinn Saudi-Arabiens.Mit Trumps jüngst erfolgten Ernennungen Mike Pompeos und John Boltons scheint Riad seinem Traum einen großen Schritt näher gekommen zu sein. Die Saudis haben versucht, jede amerikanische Annäherung mit Teheran zu vereiteln. Sie missbilligten den iranischen Atomvertrag (Joint Comprehensive Plan of Action) und ermuntern nun Trump, ein Abkommen aufzukündigen, von dem selbst seine Administration einräumt, dass sich die Iraner bislang an alle Absprachen gehalten haben.Wenn es nach dem saudischen Kronprinzen geht, werden die USA einseitig aus einem Sechs-Parteien-Abkommen aussteigen.Die Europäer und Chinesen hatten in Vergangenheit angedeutet, daran festhalten zu wollen.Darüber ob Erstere tatsächlich bei ihrer Ankündigung bleiben, darf angesichts der jüngsten Geschäfte Riads mit Macron spekuliert werden.Die Glaubwürdigkeit der USA jedenfalls würde stark leiden, und eine entsprechende Botschaft auch in Richtung Nordkorea aussenden.Warum sollte Kim Jong Un ernsthafte Verhandlungen mit Trump überhaupt in Betracht ziehen, wenn die USA ihre Unzuverlässigkeit bei der Einhaltung bestehender Verträge im Fall des Atomabkommens mit dem Iran unter Beweis stellen.Auch muss man sich einmal Folgendes vor Augen führen. Der Iran ist, ebenso wie die wahhabitischen Diktaturen auf der anderen Seite des Persischen Golfs ein totalitärer, religiös-fundamentalistischer Unrechtsstaat, der durch die Förderung von Parteien und Milizen Einfluss in der ganzen Region nimmt, wenn auch mit einem deutlich niedrigeren Budget.Die Bekannteste dieser Milizen ist zweifelsohne die Hisbollah, die vom Libanon aus operiert. Ihre kompromisslose, aggressive und bedrohliche Haltung gegenüber Israel ist absolut verurteilenswert und inakzeptabel.

    Sie hat allerdings noch eine andere Seite, die sie wesentlich vom, durch Saudis, anderen Golfstaaten und muslimbrüdernahen Regimen unterstützten, Mikrokosmos der Al-Kaida-Splittergruppen u.ä. abhebt. Man kommt bei einer objektiven Bewertung der Hisbollah nicht daran vorbei anerkennen zu müssen, dass sie maßgeblich mit dafür gesorgt hat und sorgt, dass trotz wiederholter Attacken weder IS noch Al Kaida im Libanon Fuß fassen konnten, und dort weiterhin eine Form der religiösen Vielfalt fortbesteht, wie sie im Orient nur noch selten zu finden ist. Im Libanon leben sowohl schiitische wie auch sunnitische Muslime, Drusen und eine Reihe verschiedener christlicher Konfessionen, von denen die meisten Europäer und Nordamerikaner noch nie etwas gehört haben.

  • In Syrien bewaffnet und finanziert Saudi-Arabien islamistische und dschihadistische Rebellengruppen. Das beinhaltet auch die Al-Nusra-Front, den Al-Kaida-Ableger in der Levante. Sieben Jahre verbringen die Saudis nunmehr damit einen Regimewechsel in Syrien erzwingen zu wollen, also um Assad mit Hilfe Obamas und Trumps zu stürzen. Dabei ist es ihnen völlig egal, dass dies das Risiko eines Konflikts mit dem nuklear bewaffneten Russland birgt. Auch das, alles andere als unwahrscheinliche, Risiko, dass auf Assads Syrien ein radikaler Dschihadistenstaat folgt, kommt ihnen eher gelegen, als dass es sie stören würde. Die Saudis sehen in Assad einen Feind, der beseitigt werden muss. Und sie planen und spannen westliche Streitkräfte fest bei ihrem Vorhaben ein. Die Konsequenzen könnten fatal sein. Das gilt ebenso für die Menschen in der Region, die ein säkulares Leben gewohnt sind, wie auch für die innere Sicherheit ausgerechnet jener Staaten, die Riad als Erfüllungsgehilfen seiner Agenda dienen.„Durch einen US-Militärangriff gegen Syrien werden terroristische Gruppen wie Al Kaida, ISIS, Jaysh al-Islam usw. in ihrem Vorhaben wiederbelebt und auferstehen, die Regierung zu stürzen und ein Kalifat zu errichten. Dies verstärkt die Bedrohung für Amerika und führt zur Errichtung der Hölle für das syrische Volk.“ Hinzuzufügen ist dem lediglich, dass die Bedrohung für Europa aufgrund der größeren geografischen Nähe zu Syrien erst Recht verstärkt wird.

 

Die Saudis und jene Regionalmächte, die ähnliche Ziele in der Region verfolgen, kümmern sich nicht um die Sicherheit der Bevölkerung westlicher Staaten.

Sie sehen in ihnen, besonders ihrem Militär, ein weiteres Werkzeug in ihrem regionalen Arsenal. Sie wollen Waffen, Geld, Panzer, Flugzeuge und diplomatische Deckung für Völkerrechtsvergehen im In- und Ausland, die sie seit Jahrzehnten erhalten; aus Washington, aus London, aus Paris, aus Berlin und anderen Hauptstädten der Welt, die Regierungen beheimaten, die sich notorisch als moralische Instanzen inszenieren, es aber nicht sind. Die Beziehung westlicher Regierungen mit den Königen und Prinzen Saudi-Arabiens ist eine internationale Peinlichkeit und hat den Ruf westlicher Staaten auf arabischen Straßen komplett ruiniert. Sie haben unsere Regierungen in Kriege hineingezogen, die nicht zu gewinnen sind. So wurden wir zu willigen Komplizen ihrer Kriegsverbrechen im Jemen, und bedingungslosen Unterstützern des wahhabitisch-islamistischen Extremismus in der gesamten Region und darüber hinaus.

 

Warum machen unsere Regierungen das? Wer profitiert davon?

Natürlich nicht der durchschnittliche europäische oder US-amerikanische Staatsbürger!

Nicht der freiwillige Soldat, der geschickt wurde, um zu kämpfen, zu sterben und in verschiedenen, nicht zu gewinnenden, Kriegen zu töten!

Nein, der einzige Gewinner ist die Rüstungsindustrie, der militärisch-industrielle Gigant, der unter dem „liberalen“ Obama, den „konservativen“ Trump und May, den Sozialdemokraten Blair und Hollande sowie dem „jungen, dynamischen, vollbluteuropäischen Hoffnungsträger“ Macron Waffengeschäfte im Wert von mehreren hundert Milliarden Dollar und Euro beschert. Die Profite steigen und die Unternehmensboni schießen in die Höhe, während die Löhne der durchschnittlichen Erwerbstätigen stagnieren.

Westliche Regierungspolitiker vergießen nach islamistischen Anschlägen in ihren Ländern Krokodiltränen, üben sich in heuchlerischen Lippenbekenntnissen und besitzen sogar die Dreistigkeit an ihre Bevölkerungen zu appellieren mit dem Terror Leben zu lernen, nur um gleichzeitig keine Gelegenheit auszulassen ihre Nibelungentreue zu eben jenen Staaten zu demonstrieren, aus deren, alles andere als alternativlosen, Interpretationen des Islam der Terror entspringt.

Was also tun?

Wir müssen begreifen, dass die schwerwiegendsten innenpolitischen Probleme unserer Zeit, leider zu einem beträchtlichen Teil durch die Außen- und Bündnispolitik unserer Regierungen hausgemacht sind.

Eine Politik, für die viele bluten und von der wenige profitieren!

Es muss Druck auf die politischen Entscheidungsträger in Washington, London, Paris und Berlin ausgeübt werden, ihre Außenpolitik so zu gestalten, dass sie endlich den eigenen Interessen und, mittlerweile fast vollkommen unglaubwürdig gewordenen, Werteversprechen entspricht, anstatt sie dreist und unbelehrbar nach den Schnittmengen auszurichten, die einige wenige Unternehmen aus der Schwerindustrie mit einem der weltweit totalitärsten Staatssysteme teilen!

Es wird nicht einfach sein. Trotzdem wäre es ein guter Anfang, einen gegenteiligen Kurs zu Macron einzuschlagen, und bis auf weiteres auf Geschäfte mit den Saudis und ähnlichen Regimen der Region zu verzichten.

Die freiheitlichen Menschen des Orients, seine wirklich gemäßigten Kräfte und seine Minderheiten würden es uns danken.

Nicht zuletzt würden wir uns durch Engagement in diese Richtung selbst belohnen. Durch sinkende Terrorgefahr auf unseren Straßen würden wir nämlich ein Stück weit das Leben zurück erlangen, das wir seit dem 13. November 2015 und allem was folgte, verloren haben!

 

Quellen

Nota bene:
Bei diesem Text habe ich ganz bewusst, inspiriert von Maj. Danny Sjursen, einige Fakten, Realitäten und dezente Utopien sowie sehr populäre mit sehr unpopulären Meinungen kombiniert, die sich gemäß politischem Lagerdenken eigentlich gegenseitig ausschließen.
Dem wirklich aufmerksamen Leser, der sich nicht beim ersten Widerspruch zur eigenen Weltsicht empört abwendet, sollte dennoch das Leitmotiv des Textes nicht entgehen.