Die Geige weint

Am 09. und 10. November 2018 gedenken wir zum 80. Mal der Novemberpogrome von 1938.

Aus diesem Anlass wird im Folgenden das Lied „Le violon pleure“ von Frédéric Lerner vorgestellt.

Es handelt von Abschied, Deportation und der Gefühlswelt Deportierter.

Interessant ist die Zeile „Codename Dora“. Das am Beitragsende verlinkte Video sieht in dieser Zeile einen Hinweis auf das KZ Mittelbau-Dora Das ergibt durchaus im Kontext der ersten und zweiten Strophe Sinn.

Vor dem Hintergrund der drei Schlusszeilen, ergibt es auch einen Sinn, dass Lied in einem leichtem Bezug zum gleichnamigen, stark autobiografischen Roman des ungarischen Widerständlers Sándor Radó zu sehen.

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Foto: Arkady Mazor / Shutterstock.com http://image.shutterstock.com/display_pic_with_logo/64452/112920364/stock-photo-israel-circa-an-old-israeli-postage-stamp-of-the-series-the-kristallnacht-with-112920364.jpg

Der Text:

Ein Foto, ein altes schwarz-weiß Foto,

auf seiner Rückseite auf den 21. Dezember im Winter 1943 datiert.

Codename: Dora,

1000 Mäntel, Koffer und Hüte marschieren in Reihen wie eine Herde.

Wissen sie wirklich, was sie erwartet?

Sicherlich eine Veränderung!

Hör‘ ihr zu, seiner Geschichte!

Hör‘ dieser Geige zu, wie sie weint!

Im Namen der Erinnerung,

hör‘ seinen Schmerz (über die Saiten) fideln!

Und mag das Holz (des Instruments) auch altern,

seine traurige Musik bleibt in ihm eingeschlossen.

Ein Mann lächelt,

also wolle er seiner Geliebten Danke sagen.

Hat er verstanden,

dass es Reisen gibt, von denen man nicht wiederkommt;

Züge nach Nirgendwo!

Er möchte bei bleiben,

sie einfach umarmen,

so wie sie geboren sein,

sich nicht mehr verstecken müssen,

sein Leben teilen

und seine Freunde wieder sehen;

Adan, Noa, Elie…

Hör‘ ihr zu, seiner Geschichte!

Hör‘ dieser Geige zu, wie sie weint!

Im Namen der Erinnerung,

hör‘ seinen Schmerz (über die Saiten) fideln!

Und mag das Holz (des Instruments) auch altern, seine traurige Musik bleibt in ihm eingeschlossen.

Dann kam das Echo, das Ende des Ghettos!

Einige Sterne auf einer Flagge!

Aber seine, die er so hoch hielt, wurde ihm zum Verhängnis.

Geiselnahme als Bestandteil türkischer Staatsdiplomatie

Am Wochenende des 13. / 14. Oktober 2018 kam der evangelikale US-Pastor Andrew Brunson nach zwei Jahren aus türkischer Haft frei.

Dem Fall ging ein monatelanges, diplomatisches Tauziehen voraus.

Ob es zu Gegenleistungen seitens der USA für die Freilassung kam, ist nicht ganz klar. Hier widersprechen sich die Statements Ankaras und Washingtons, ohne dabei aber Konkretes preiszugeben.

 

Fakt ist aber in jedem Fall, dass die Taktik der AKP nicht aufgegangen ist, und Trump im Clinch mit  Erdoğan mindestens einen klaren Punktsieg landen konnte.

Was war passiert, und in welchen größeren Kontext sind die Geschehnisse einzuordnen?

 

Alibivorwurf um systematische Verfolgung durchzuführen

Im August 2018 kündigte US-Präsident Trump verärgert an, Sanktionen gegen die Türkei und gegen den türkischen Innen- und Justizminister verhängen zu wollen.

Was war der Grund für Trumps Wut?

Sie wurde ausgelöst durch die Weigerung Ankaras, Andrew Brunson aus der Haft zu entlassen.

Andrew Craig Brunson ist ein Pastor, der vor zwei Jahren in der Türkei wegen „Unterstützung terroristischer Organisationen“ verhaftet wurde.

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Pastor Adrew Craig Brunson saß zwei Jahre lang in der Türkei in Haft, Bild gefunden auf yekirmedia.am (http://yerkirmedia.am/wp-content/uploads/2018/07/endrew-brunson-turkey3-1.png)

Ende Juli diesen Jahres durfte er nach zwei Jahren Untersuchungshaft in seine Wohnung zurückkehren, stand aber danach bis Mitte Oktober unter Hausarrest.

Dem Leiter der evangelikalen Wiederauferstehungskirche im westtürkischen Izmir wird zum Einen vorgeworfen, er habe als Teil der Hizmetçi-Bewegung um, den islamischen Prediger und ehemaligen Weggefährten des türkischen Machthabers Erdoğan, Fetullah Gülen, den vermeintlich versuchten Staatsstreich im Juli 2016 unterstützt.

Hier handelt es sich um eine Art Alibivorwurf, der seit dem Sommer vor zwei Jahren als Vorwand für eine systematische Verfolgung ebenfalls von oppositionellen Politikern, Aktivisten und Journalisten dient.

Seit Anfang September teilt beispielsweise der linke, österreichische Journalist Max Zirngast dieses Schicksal.

U.a. der Fall des, in Berlin lebenden, Adil Öksüz zeigt darüber hinaus, dass die Verfolgung unter genanntem Vorwand nicht an den türkischen Grenzen Halt macht.

Brunson wurde außerdem vorgeworfen, die „Gründung eines christlich-kurdischen“ Staates propagiert zu haben.

Akteneinsicht wurde der US-Regierung auf Nachfrage verweigert. Die türkische Seite berief sich in seinem Fall offenbar lediglich auf einen, geheim gehaltenen, Belastungszeugen.

Seinerzeit, reagierte Erdoğan persönlich auf die Sanktionsdrohung seitens Washingtons.

Er ließ sinngemäß verlauten, man würde sich von dieser „Drohsprache“ in „evangelisch-zionistischer Mentalität“ nicht beeindrucken lassen.

Tatsächlich schien es dem AKP-Regime weniger um Brunson zu gehen, als vielmehr um Gülen persönlich, der im US-Bundesstaat Pennsylvania im Exil lebt.

Die Botschaft an das Weiße Haus lautete offensichtlich: „Ihr könnt euren Pastor haben, wenn ihr uns unseren Prediger ausliefert“.

 

Minderheiten sind Dauergeiseln Ankaras

Geiselnahme als Druckmittel zu benutzen, ist in der türkischen Diplomatie seit 97 Jahren Normalität.

Im Fall Deniz Yücel forderte Ankara die Auslieferung mehrerer türkischer Offiziere, die nach Deutschland geflüchtet waren und dort um Asyl ersucht hatten.

Das AKP-Regime wendete diese Taktik ebenfalls im Falle zweier, im März inhaftierter, griechischer Soldaten an. Sie sollten nur frei kommen, falls Athen im Gegenzug der Auslieferung von acht türkischen Soldaten zustimmt, die im Juli 2016 mit einem Hubschrauber ins griechische Alexandroupolis geflüchtet waren.

Die, in der Türkei lebenden, griechischen, armenischen und jüdischen Minderheiten wurden im Laufe der Geschichte vom türkischen Staat immer wieder als Geiseln bzw. Druckmittel missbraucht. Die religiösen und kommunalen Führer dieser drei Minderheiten werden dabei stets unter Druck gesetzt, der Regierung ihre Treue zu erklären, obschon ihre Gemeinschaften unter offen diskriminierenden Bedingungen leiden, von Gesetzeswegen benachteiligt sind, und durch staatlich propagierten  Geschichtsrevisionismus gedemütigt werden.

In Krisenzeiten wächst der Druck auf Geiseln besonders stark an. Jüngst zeigte die Affäre um Pastor Brunson dies wieder einmal besonders deutlich.

Kurz nachdem Trump die Freilassung des Pastors verlangte, führte ein Berater Erdoğans alle religiösen Führer der genannten Minderheiten, also den armenischen und griechischen Patriarchen sowie den jüdischen Oberrabbiner, der Presse vor.

Im Rahmen dieser, im wahrsten und doppelten Sinne des Wortes, Vorführung, unterzeichneten sie eine Erklärung, dass „Minderheiten in der Türkei glücklich leben sowie völlig frei und ohne jeglichen Druck ihre Religions- und Bürgerrechte ausüben können“. Obwohl es zugegebenermaßen auch Fälle gibt, in denen der Staat nicht einmal Druck aufbauen muss, sondern ihm einfach nur das Stockholm-Syndrom in die Hände spielt, sprechen der Zeitpunkt und die Umstände der Präsentation dieser Erklärung Bände.

Das Gegenteil dessen, was in ihr so krass überbetont wird, ist nämlich der Fall.

Dieses Muster wiederholt sich immer und immer wieder in der Geschichte der Türkei.

Während der Zypernkrise in den 1960er und 1970er Jahren musste der griechische Patriarch in Istanbul seine Landsleute verurteilen, und die türkische Invasion im Norden der Insel loben.

Als der deutsche Bundestag 2016 den Völkermord an den Armeniern und die besondere deutsche Mitverantwortung dafür anerkannte, verurteilte der amtierende armenische Patriarch von Istanbul diese Entscheidung, und verteidigte die türkische Staatsdoktrin der Geschichtsfälschung.

Wenn Israel Schritte gegen Palästinenser oder Muslime im Allgemeinen unternimmt, bezahlt die jüdische Minderheit in der Türkei dafür. Staatlich mindestens geduldete Angriffe und Vandalismus gegen jüdische Synagogen, Geschäfte und Häuser finden in der Türkei regelmäßig statt, wenn die, mittlerweile überwiegend von der AKP kontrollierten, Medien über den Nahostkonflikt berichten. Wenn dieselben Medien Griechenland vorwerfen, seine muslimischen Bürger, vor allem die westthrakischen Türken, ungerecht zu behandeln, muss die kleine griechische Minderheit in Istanbul ebenfalls jene subtile Form von staatlicher Verfolgung fürchten.

Manchmal wird auch eine Geisel gegen die andere Geisel, bzw. eine Minderheit gegen die andere, ausgespielt. Als Armenier weltweit begannen, für die parlamentarische Anerkennung des Völkermords an ihren Vorfahren einzutreten, wurden führende Persönlichkeiten der Istanbuler Juden unter Druck gesetzt, um bei jüdischen Parlamentariern diverser Staaten und anderen einflussreichen politischen Führern aktiv zu intervenieren, um die Völkermordsanerkennung zu stoppen. Die Führungspersönlichkeiten der jüdischen Minderheit in Istanbul beispielsweise wurden vom türkischen Staat gedrängt, wichtige Institutionen und Persönlichkeiten der jüdischen Gemeinschaft in den USA dafür zu gewinnen, gegen armenische und griechische Interessengruppen zu arbeiten.

 

Ein Brite war mehr wert als Gerechtigkeit für die Hinterbliebenen von drei Millionen Leichen

Aber der offensichtlichste und schmerzhafteste Fall von Geiselnahme in der Geschichte türkischer Staatsdiplomatie betrifft die politischen Drahtzieher des Völkermords an den Armeniern und weiteren Minderheiten.

Als der Erste Weltkrieg 1918 mit der Niederlage Deutschlands und seiner Verbündeten, darunter auch das Osmanische Reich, endete, eroberten die siegreichen Alliierten Istanbul und andere Regionen der heutigen Türkei.

In Zusammenarbeit mit den britischen Besatzungstruppen verfolgte die neue osmanische Regierung die Anführer des, von 1908 bis 1918 herrschenden,  Komitees für Einheit und Fortschritt (İttihat ve Terakki Cemiyeti) strafrechtlich vor Ort wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Massakern an ihren armenischen Bürgern. Die türkische und britische Polizei begann damit, Dutzende von führenden Ittihadisten festzunehmen, insofern sie nicht bereits geflohen waren. Wesentliche Hauptverantwortliche, wie Talaat, Enver und Cemal oder Dr. Mehmed Nâzım Bey, Dr. Mehmet Cemal Azmi Bey und Baheddin Cakir hatten sich bereits ins Ausland absetzen können. Sie wurden damals in zwei Prozessen in Istanbul in Abwesenheit zum Tode verurteilt.  Zwei, ebenfalls zum Tode verurteilte, Beamte niedrigeren Ranges, wurden im April 1919 auf dem Beyazid-Platz in Istanbul hingerichtet. Die türkische Öffentlichkeit war erbittert dagegen. Angesichts der zunehmenden Proteste gegen die Vollstreckung von Urteilen dieser Istanbuler Kriegsverbrecherprozesse, beschlossen die Briten alle inhaftierten Ittihadisten auf die britische Kolonie Malta im Mittelmeer zu bringen, um dort die Prozesse fortzusetzen. Fast 150 ehemalige osmanische Führungsfiguren wurden auf Malta interniert. Beinahe alle von ihnen waren aktiv an Massakern und Deportationen von Armeniern aus verschiedenen Regionen Anatoliens beteiligt. Einige hatten es zu beträchtlichen Vermögen gebracht, die sie gestohlenem Eigentum, Besitz und Land von ermordeten oder deportierten Armeniern verdankten.

Zwischenzeitlich hatte in Anatolien die türkische Widerstandsbewegung unter Mustafa Kemal „Atatürk“ begonnen. Die Istanbuler Regierung galt ihr als Marionettenregime, das den alliierten Besatzungstruppen gegenüber zu wohlwollend eingestellt war. Mustafa Kemal und die neu gebildete Regierung in Ankara forderten die Freilassung der, auf Malta gefangenen, Ittihadisten. Die Alliierten hatten damals den britischen Oberst Rawlinson in die Türkei geschickt, um die Situation in Ostanatolien im Vorfeld der Friedensverhandlungen von Sèvres zu beurteilen. Rawlinson hatte sich mit Mustafa Kemal, sowie weiteren militärischen und politischen Schlüsselfiguren seiner Widerstandsbewegung getroffen. Der britische Oberst war mit der Nichte von Lord Curzon verheiratet. Dieser wiederum war britischer Außenminister und Hauptentscheidungsträger bei den Friedensverhandlungen. Atatürk verstand schnell, dass Rawlinson ein „wertvoller Fang“ für die Durchsetzung seiner Interessen sein könnte, und entschloss sich, ihn zu verhaften. Rawlinson diente als Faustpfand, um die gefangenen Kriegsverbrecher von Malta freizupressen. Nach mehreren Verhandlungsrunden begann der britische Entschluss, die maltesischen Gefangenen festzuhalten und ihnen den Prozess zu machen, zu bröckeln.

Die Taktik der Geiselnahme brachte Atatürk einen diplomatischen Erfolg ein, als Lord Curzon schließlich erklärte: „Ein Brite ist mehr wert als eine Schiffsladung von Türken.“

Eine irreführende Formulierung!

Aufgrund der Entscheidung, die er verkündete, hätte der Satz eigentlich: „Ein Brite ist wertvoller als Gerechtigkeit für  3 Millionen armenische, assyrische, aramäische, griechische und yezidische Leichen.“  lauten müssen.

Die Briten vereinbarten einen Gefangenenaustausch mit der türkischen Widerstandsbewegung. Zusammen mit 20 weiteren Kriegsgefangenen kam Oberst Rawlinson frei. Im Gegenzug kamen die 121 Ittihadisten ebenfalls frei. Im Oktober 1921 wurden die Gefangenen im Schwarzmeerhafen der Kleinstadt İnebolu gegeneinander ausgetauscht. Mit der Ausnahme von Oğuz Bey, der am 9. Februar 1920 in Istanbul zu fünf Jahren Haft verurteilt wurde,  wurden die befreiten Funktionäre des Komitees für Einheit und Fortschritt nie juristisch für ihre Kriegsverbrechen und ihre Rolle beim Völkermord an den Armeniern und anderen Minderheiten zur Rechenschaft gezogen. Auslieferungsgesuche an Deutschland, Italien oder die Erste und Zweite georgische Republik, wohin sich die, zum Tode verurteilten, Hauptverantwortlichen des Völkermords abgesetzt hatten, wurden ebenfalls nie gestellt.

Die staatliche Politik der Geiselnahme, die Leugnung historischer Verbrechen und die Repressionspolitik gegen Minderheiten und Oppositionelle haben spätestens seit dieser Zeit einen festen Platz in der Politik und Diplomatie türkischer Regierungen.

 

Merkel kniet vor Erdoğan, Trump spielt ihn aus

Wie effektiv Geiselnahme als Bestandteil türkischer Staatsdiplomatie nach nunmehr fast 100 Jahren immer noch funktioniert, konnte man bei der Pressekonferenz im Rahmen von Erdoğans Staatsbesuch in Deutschland Ende September eindrucksvoll beobachten. Ein türkischer Fotoreporter trug ein T-Shirt mit der Aufschrift «Freiheit für Journalisten in der Türkei». Für diese, eigentlich vollkommen selbstverständliche, Forderung wurde er, ganz nach dem Geschmack des türkischen Machthabers und ohne Widerspruch der Bundeskanzlerin, des Saales verwiesen.

Angela Merkel befindet sich weiterhin in „Erdogans politischer Geiselhaft“, wie Helmut Hubacher in der Basler Zeitung jüngst treffend feststellte. Sie hat sich durch den „Flüchtlingsdeal“ bereitwillig selbst dort hineinmanövriert. Daher muss sie einen Kniefall nach dem anderen vor Kleinasiens oberstem Nationalislamisten proben.

Im krassen Gegensatz dazu, scheint es ausgerechnet der unbeliebte US-Präsident Donald Trump zu sein, der der westlichen Welt zeigt wie man die AKP und die traditionelle staatlich-türkische Erpressungsdiplomatie erfolgreich aushebelt.

Denn unter dem Strich bleibt festzuhalten: Andrew Brunson ist wieder frei, Fetullah Gülen ist es weiterhin und beide befinden sich in den USA.

Trump hat seinen Pastor bekommen. Erdoğan hingegen musste auf die Auslieferung seines Predigers verzichten.

Wie genau der US-Präsident zu diesem Erfolg gekommen ist, bleibt wohl sein Geheimnis.

Ob es allein die Drohung mit Sanktionen war? Vielleicht?!

Man muss sich aber nicht wirklich weit aus dem Fenster lehnen, um behaupten zu können dass sein Rezept mit Sicherheit nicht „Appeasement-Politik“ hieß.

 

Zum besseren Verständnis und zum Weiterlesen:

 

  • Vosganian, Varujan (2017): The Book of Whispers, Yale University Press, S.159

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Deutsche Islampolitik: Tragische Verbindung zwischen zwei Völkermorden und mehr

„Der Frieden ist kein abstraktes Konzept, er ist kein statisches Konzept und auch kein negatives Konzept, das einfach die Abwesenheit des Krieges erklärt. Er ist ein konkretes, praktisches, positives und dynamisches Konzept.

Die Welt wird von drei Dingen aufrechterhalten, von der Gerechtigkeit, der Wahrheit und dem Frieden. All dies sind Konzepte, deren Realisierung praktische und dynamische Anstrengung erfordert.“

Am 15. November 2017 verstarb eine der großartigsten und inspirierendsten Persönlichkeiten Europas im Alter von 82 Jahren.

Professor Giuseppe Laras war bis zu seinem Tod Oberrabiner von Mailand und vormals von Ancona und Livorno.

Darüber hinaus gilt er als wichtigste jüdische Persönlichkeit im Italien nach dem Zweiten Weltkrieg.

Sein Engagement brachte ihm dort den Beinamen „Champion der jüdisch-christlichen Aussöhnung“ ein.

Obschon sie in Deutschland kaum bekannt sind, werden seine Worte jeden für immer begleiten, der auch nur ein einziges Mal mit ihnen in Berührung gekommen ist.

Gerade dieser Tage, da wir am 24. April zum 103. Mal den symbolischen Gedenktag zum Völkermord an den Armeniern und anderen Minderheiten durch die osmanischen Türken begehen, sollten wir uns seine Worte in besonderem Maße ins Gedächtnis rufen.

Sieben Monate vor seinem Tod, also vor knapp einem Jahr, verfasste er anlässlich einer Ausstellung in der Holocaustgedenkstätte „Memoriale della Shoah“ von Mailand den bemerkenswerten Text „Il filo tragico che lega il genocidio armeno e la Shoah è l’Islampolitik“.

Bereits der Titel lässt aufhorchen. Ins Deutsche übersetzt lautet er: „Die tragische Verbindung zwischen dem Völkermord an den Armeniern und der Shoah ist die „Islampolitik“.

Laras verzichtet schon im Titel bewusst und mit voller Absicht auf eine Übersetzung des letzten Wortes. So bleibt eine Übersetzung ins Italienische aus und er schreibt nicht „politica islamica“, sondern verwendet das, südlich der Alpen ansonsten eigentlich vollkommen ungebräuchliche, Lehnwort aus dem Deutschen.

Er tut dies um klarzumachen, dass es sich ganz speziell und konkret um die deutsche Islampolitik handelt, die Juden und Armenier auf tragische Weise miteinander verbindet.

Juden und Armenier charakterisiert Laras als zwei ursprüngliche und hartnäckige Völker, zwei absolute Minderheiten, konstituierend für den Osten und den Westen.

 

Juden und Überjuden

JUDEN UND ÜBERJUDEN – Dieser wahnhafte, antisemitische, und wie wir im Folgenden sehen werden, auch antiarmenische Titel, war von den neunziger Jahren des 19.Jahrhunderts bis zum Nationalsozialismus Normalität deutscher Politik, Kultur und Medien. Dies ist genug, um die Bedeutung und die Kostbarkeit der großen Ausstellung über den Völkermord an den Armeniern, Metz Yeghern, zu verstehen, die am 27. April 2017 im Holocaust-Mahnmal in Mailand eingeweiht wurde.

Die Islampolitik, die Kaiser Wilhelm II. ökonomisch, strategisch und kulturell verfolgte, brachte eine Gleichschaltung der Presse mit sich, die in antiarmenischen und protürkischen Stereoptypen zum Ausdruck kam. Dabei wurden schlichtweg bekannte, antisemitische Botschaften auf das uralte christliche Volk übertragen. Eine der ganz wenigen Ausnahmen bildete damals die Frankfurter Zeitung, die von den beiden deutschen Juden L. Sonneman und H.B. Rosenthal gegründet worden war. Sie fiel dadurch auf, dass sie, entgegen der totalitären Staatsdoktrin und des ebenso gearteten Zeitgeists, Partei für die Armenier ergriff.

Im Jahr 1913, vier Jahre nach den Massakern an den Armeniern von Adana (1909), denen 20.000 bis 30.000 Menschen zum Opfer fielen, ließ der deutsche Botschafter Wangenheim verlauten, die ethnische Säuberung der Stadt durch den türkischen Verbündeten sei „die natürliche Reaktion auf das parasitäre System der armenischen Wirtschaft. Es ist bekannt, dass die Armenier die Juden des Nahen Ostens sind“.

Er fuhr fort: „Die wirtschaftlichen Aktivitäten, die anderswo von den Juden ausgeführt werden, oder die Enteignung der Armen, werden hier ausschließlich von den Armeniern durchgeführt und begangen. Selbst die hier lebenden sephardischen Juden können mit ihnen nicht konkurrieren.“

Um die Gräueltaten des Bündnispartners zu glorifizieren, griff man auf das alte Feindbild der Juden zurück und stellte die Armenier als ihre Steigerung dar. Man stilisierte sie zu „Überjuden“.

Die deutsche Islampolitik war bereits Komplize der mörderischen Maßnahmen des „Roten Sultans“, des berüchtigten Sultan-Kalifen Abdülhamid II. (1894-1896), die einige Jahre später unter deutschem Schweigen, Mitwisser- und Mittäterschaft im Völkermord an den Armeniern fortgeführt wurde. Schließlich gab es eine finstere Neuauflage dieser Allianz durch die Verschmelzung zwischen Mussolini, Hitler und verschiedenen dschihadistischen Bewegungen, die sich seit dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts aus dem, mit nationalsozialistisch-faschistischen Elementen verschmolzenen, politischen Islam heraus entwickelten, und bis in unsere Tage eine geradezu pandemische Ausbreitung erreicht haben.

Lewis Einstein, ein jüdischer US-Diplomat an der Botschaft in Istanbul, schrieb im Jahr 1917 in einem Augenzeugenbericht:

„In diesem Krieg des Schreckens, muss die Vernichtung der Armenier der ultimative Horror bleiben. Nichts ist so scheußlich wie die geplante Vernichtung eines Volkes. Und auch die deutschen Bürokraten können sich ihrer furchtbaren, zustimmenden Rolle bei diesem Verbrechen nicht entziehen.“

Ein weiterer Zeitzeugenbericht ist einer der Gebrüder Aaronsohn, stolze Zionisten, die zur damaligen Zeit auf dem Gebiet Israels lebten. Aaron Aaronsohn war ein angesehener Agronom und Gründer des Spionagenetzwerks NILI, das im Dienste der Entente tätig war.

1916 schrieb er in seinem Memorandum: „Hunderte von Leichen von Männern, Frauen und Kindern, lagen auf beiden Seiten der Gleise, und Hunde ernährten sich von ihren Kadavern.“

Und weiter: „Die Armenier, einer der fleißigsten und bescheidensten Komponenten im türkischen Reich, wenn nicht sogar die allerfleißigste und bescheidenste – und wohlgemerkt, es ist ein Jude der dieses Patent vergibt – ist jetzt eine Nation von hungrigen und zertrampelten Bettlern. Die Integrität des Familienlebens dieses Volkes ist zerstört worden. Seine Männer wurden getötet, während seine Kinder, Jungen und Mädchen, in den Privathäusern der Türken als Sklaven gehalten werden, um Laster und Sünden zu befriedigen. Das ist aus den anatolischen Armeniern geworden.“

Abschließend merkt Aaronsohn an: „Die Massaker an den Armeniern sind das Ergebnis einer sorgfältig geplanten Aktion durch die Türken, und die Deutschen werden sicherlich für immer mit ihnen die Schande dieser Taten teilen müssen.“

Was Laras bezüglich der zustimmenden Rolle Deutschlands anführt, könnte kaum aktueller sein.

Die letzten beiden ehemaligen Außenminister, gleichzeitig langjährige SPD-Parteikollegen, hat man ungeachtet des völkerrechtswidrigen Vorgehens der Türkei gegen die kurdische Minderheit im eigenen Land, ihrer offenen Unterstützung radikal-dschihadistischer Milizen und ihres völkerrechtswidrigen Einmarschs in Syrien wiederholt sagen hören, hier würde das „Recht auf Selbstverteidigung“ ausgeübt – eine, fast schön höhnisch anmutende, moderne Version der antisemitischen Auswüchse von Botschafter Wangenheim anno 1913!

 

Juden und Armenier: Zwei absolute Minderheiten

Juden und Armenier, zwei ursprüngliche und zähe, aber zahlenmäßig kleine Völker; zwei absolute Minderheiten, die in der Geschichte und Kultur sowohl des Ostens als auch des Westens konstituierende und entscheidende Rollen spielten, und sich über beide Welten erstrecken.

Eine Mischung, die ausreicht, um auf die meisten Menschen unverständlich und sogar fremd zu wirken, und um sie mit alten, sich immer wiederholenden und in Gewalt ausufernden Anschuldigung des „doppelten Spiels“ bzw. des Verrats in Verruf zu bringen. Es ist dieses Schicksal, was sich diese beiden Völker so ähnlich sein lässt.

Im Laufe der Jahrhunderte haben Armenier und Juden aus unterschiedlichen Perspektiven eine Reihe ähnlicher Erfahrungen machen müssen; den Verlust nationaler Souveränität, Versklavung durch andere Mächte und Kulturen, das Dasein als Dhimmis in muslimisch geprägten Staaten, die Diaspora, Denunziation, Massaker, Eisenbahndeportationen, Todesmärsche und völkermörderische Vernichtung, die kulturelle und politische Wiedergeburt in einer Nation der Überlebenden, zwei verschiedene Arten politisch motivierter Leugnung von Völkermorden.

Jedoch ist beiden Völkern eine moderne Wiedergeburt gemein, die von einem sprachlichen und literarischen Wiederaufblühen des Armenischen und Hebräischen vorgegriffen, angespornt und begleitet wurde und weiter begleitet wird.

In den Gräuel von Metz Yeghern retteten die Juden zunächst Armenier; während der Shoah retteten Armenier dann Juden. Es ist daher kein Zufall, dass der Erfinder des Lemma „Genozid“, der große jüdische Denker und Jurist, der Pole Raphael Lemkin, sich lange und intensiv mit der Tragödie der Armenier beschäftigt hat. Besonders Henry Morgenthau, Jude und US-amerikanischer Botschafter bei der Hohen Pforte, war der engagierteste Vorkämpfer der ersten humanitären Operation des zwanzigsten Jahrhunderts, dem „Near East Relief“. Mit großen Anstrengungen wurden vor rund 100 Jahren mit einer Art Fundraising-Kampagne bis 1922 rund 226 Millionen US-Dollar gesammelt, mit denen das Leben vieler Armenier, besonders Kinder gerettet werden konnte.

Die Kinder, die zwischen 1915 und 1930 gerettet wurden, waren ungefähr 132.000 an der Zahl, davon etwa sechzigtausend Armenier.

 

Die „unverdauliche Frucht des „Armenierjudentums der USA“

Die deutsche Leidenschaft für Völkermorde führte im 20. Jahrhundert zu drei Genoziden: der afrikanische in Namibia an den Herero und der Nama (1904-1907); Metz Yeghern (Westarmenisch für „Das große Verbrechen“, 1915-1922) und die Shoah (1939-1945).

In den letzten beiden Fällen spielten islamische Verbündete der Deutschen leider wichtige Rollen und waren aktiv beteiligt. Im Rahmen der deutsch-osmanischen bzw. deutsch-türkischen Waffenbruderschaft im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert wurden die Hamidischen Massaker und später der Völkermord an den Armeniern unterstützt und gerechtfertigt.

Trotz aller Instabilität, Widersprüchlichkeit und grausamen Unterwerfung wurden diese Menschheitsverbrechen von einer unumstößlichen Allianz aus Panislamismus des Sultans Abdülhamid II., dem späteren Nationalismus der Jungtürken und der deutschen Obrigkeit sowie ihren Institutionen vor Ort, wie z.B. der „Deutschen Militärmissionen im Osmanischen Reich“, begangen.

Es ist kein Zufall, dass der jüdische Schriftsteller Franz Werfel, ein Freund Kafkas, sein erfolgreichstes Buch im Jahr 1933 schrieb. „Die Vierzig Tage des Musa Dagh“ ist eine zeitlose Ehrerweisung an den Völkermord, der an den Armeniern begangen wurde, und an ihre verlassenen Waisen im Nahen Osten. Das Buch von Werfel wurde im Jahr 1934 in Deutschland verboten. Um die Rolle die, auf das Grausamste inspirierende, Vorreiterrolle des Völkermords an den Armeniern für die Nazis zu verstehen, muss beachtet werden, dass Werfels Buch dem Schwarzen Korps der SS als „unverdauliche Frucht des Armenierjudentums der USA“ galt!

Das wilhelminische Deutschland war das kulturell lebendigste Land im Westen, so dass Völkermorde bei drei Gelegenheiten paradoxerweise von Modernität und kultivierter Zivilisation begleitet wurde. Die deutsche Kultur war eine philosophisch und musikalisch. In den deutschen Fakultäten nährten sich Philosophie und Theologie seit Jahrhunderten gegenseitig. Eine tödliche und mörderische Metastasierung ist daher in jenem philosophischen, politischen und theologischen Gedankengut latent, das von Luther über die Idealisten zu Friedrich Naumann, über die Väter der Weimarer Republik und zu Adolf von Harnack, Carl Schmitt und Martin Heidegger vertreten wurde.

So kam es dazu, dass mit deutschem Wohlwollen und Unterstützung, türkische und kurdische Peiniger, wiederholt und nicht zum letzten Mal, im Rahmen ihres Dschihad 1,5 Millionen Armenier sowie hunderttausende von assyrischen Christen, Pontos-Griechen und Angehörige anderer nicht-muslimischer Minderheiten verfolgten und töteten. Die Leiden der armenischen Frauen und Kinder waren schrecklich. Über sie ergingen Sklaverei, Menschenhandel, Zwangsislamisierung, Folter und sogar Kreuzigungen.

Es muss verstanden werden, dass der Völkermord an den Armeniern und die Shoah, auf beunruhigende Art und Weise und in mehrfacher Hinsicht, tragische Verbindungen aufweisen.

Weder die Metz Yeghern noch die Shoah eignen sich in irgendeiner Weise dazu, hermeneutische Verallgemeinerungen zu betreiben, aber sie erfordern ernsthafte Wachsamkeit. Jede unangemessene Verallgemeinerung verfälscht Geschichte und Denken. Damit das Verständnis um ihre Einzigartigkeit nicht zu verlieren, ist es notwendig, sie zusammenhängend zu betrachten, so wie es hier geschehen ist.

Es gibt einige schreckliche Lehren aus der Geschichte der Armenier und Juden über die Menschlichkeit des Menschen. Dieser ist nämlich stets frei in seiner Entscheidungmöglichkeit, dämonisch zu handeln und andere in diesem Sinne zu erziehen.

Eine positive Gemeinsamkeit gibt es darüber hinaus ebenso und dennoch. Sie ist enorm in der Stärke ihres Zeugnisses, wurde aber niemals ausreichend gewürdigt und in die Erinnerung gerufen, ja manchmal sogar verdunkelt: Sowohl das armenische Volk als auch das Volk Israel haben ihren bewährten, obgleich verwundeten und erschütterten, Glauben an den Herr Gott nie verloren.

 

Deutsche „Islampolitik“ von einst, ist deutsche „Islampolitik“ der Gegenwart

Leider sind Laras‘ Worte weiterhin hochaktuell und weit mehr als eine bloße Schlussfolgerung, die sich aus historischen Zusammenhängen ergibt. Es scheint als erlebten diese Zusammenhänge aktuell eine Art beschämender Renaissance.

Mirza Ismail gab der freien Journalistin und Nahostexpertin Rachel Avraham im Mai 2017 ein bemerkenswertes Exklusivinterview.

Der Gründer und Präsident der yezidischen Menschenrechtsorganisation „Yezidi Human Rights Organization-International“ äußerte damals folgende mahnende Worte gegenüber der Autorin von „Women and Jihad: Debating Palestinian Female Suicide Bombings in the American, Israeli and Arab Media“ :

„Was ist mit den Juden, Yeziden, Christen und den anderen Minderheiten passiert?

Sie lebten bereits tausende von Jahren vor dem Aufstieg des Islam im Irak, aber nun befinden sie sich am Rande einer totalen Vernichtung. Wir sind Menschen.

Es gibt keinen Unterschied zwischen irgendwelchen Arten von Menschen.

Die UNO sagt, jeder sollte gleiche Rechte und Freiheiten haben. Wo sind unsere gleichen Rechte und Freiheiten?

Schon im Jahr 2008 suchte unsere yezidische Menschenrechtsorganisation, zusammen mit den assyrischen Christen, nach Unterstützung für eine autonome Region für die Christen und Yeziden in Sindschar.

Würde der Westen Druck auf Saudi-Arabien und andere muslimische Staaten ausüben, könnte das Problem gelöst werden.

Einst schwieg die Welt, als sechs Millionen Juden massakriert wurden. Dasselbe passiert jetzt wieder. Die Yeziden schreien nach internationaler Hilfe. Niemand im Westen gibt ihnen Waffen, um sich gegen die islamischen Terroristen zu wehren. Während sie behaupten, ihr Bestes zu tun, unterstützen sie muslimische Extremisten gegen uns.“

Angesichts der Worte Ismails sollten wir an das Zitat denken, das diesen Text einleitet, denn das Schicksal der Yeziden ähnelt auf tragische Weise der Beschreibung der Gräuel an den Armeniern im Ersten Weltkrieg, wie sie Aaronsohn dokumentierte.

Und auch beim völkerrechtswidrigen Einmarsch der Türkei in die kurdische Enklave Afrin in Nordsyrien wurden wieder Yeziden, Armenier und Assyrer vertrieben, die dort Schutz gefunden hatten. Kurdische Quellen berichten darüber hinaus dieser Tage von gezielten Übergriffen und Zwangsislamisierung durch türkische Truppen und ihre verbündeten, dschihadistischen Milizen.

Und was macht der SPD-Außenminister a.D., Sigmar Gabriel?

Er fordert im Rahmen eines Gastbeitrags im Tagesspiegel die Bundesregierung dazu auf, der Türkei „weiter Angebote zu machen“ und sie „weiterhin geopolitisch „einzubinden“, damit sie sich nicht in Richtung Russland orientiert!

Diese Forderung erinnert an die Beschreibung der bündnispolitischen deutschen Linie im Ersten Weltkrieg durch Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg:

„Unser einziges Ziel ist, die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu halten, gleichgültig, ob darüber die Armenier zugrunde gehen oder nicht. Bei länger andauerndem Krieg werden wir die Türken noch sehr brauchen“.

Übersetzt heißt Gabriels Appel nämlich nichts anderes, als dem nationalislamistischen AKP-Regime jeden Völkerrechtsbruch allein aufgrund der bloßen, formellen NATO-Mitgliedschaft der Türkei durchgehen zu lassen.

Wenige Wochen später schlug die Bundesregierung angesichts der Unruhen im Gazastreifen einen scharfen Ton gegenüber der israelischen Regierung an, während die Aktionen der radikal-islamistischen Hamas und ihrer regionalen Unterstützer weitgehend vollkommen kritiklos hingenommen werden.

Und auch was die Zukunft Syriens anbelangt, ist man in Berlin voll und ganz auf der Linie der saudischen Wahhabiten, deren Interessen sich hier in vielerlei Hinsicht mit denen des AKP-Regimes decken.

„Die tragische Verbindung zwischen dem Völkermord an den Armeniern und der Shoah ist die „Islampolitik“, genauer die deutsche Islampolitik.

Diese Erkenntnis haben wir Prof. Giuseppe Laras zu verdanken.

Wir sollten sie uns dieser Tage eindringlich ins Gedächtnis rufen.

Nicht allein aufgrund des Gedenkens am 24. April, sondern auch weil sich ganz aktuell, so deutlich wie lange nicht mehr, der Verdacht aufdrängt, dass diese „tragische Verbindung“, obschon gänzlich anders vermarktet als noch vor 100 und vor 80 Jahren, weiterhin auch in der Gegenwart besteht, und immer noch schützend die Hand über grausamste Menschenrechtsverletzungen hält!

 

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Bild: Haber Günce, http://www.habergunce.com/public/i/haber/24/2015-10-20/stara-gore-ii-wilhelm-1909da-devrilen-2-abdulhamidle-1917de-ittifak-kurmus_455238744.jpg Die türkische Zeitung „Haber Günce“ veröffentlichte 2015 diese Fotocollage. Sie zeigt (von links) Kaiser Wilhelm II, Sultan Abdülhamid II sowie Angela Merkel und auf Staatsbesuch bei Erdoğan. Die Zeitung interpretierte die Symbolik des Staatsbesuch der Kanzlerin als Botschaft bzw. Kampfansage an Russland die deutsch-türkische Waffenbruderschaft von einst wieder aufleben lassen zu wollen.

 

Hauptquellen

– Laras, Giuseppe: Il filo tragico che lega il genocidio armeno e la Shoah è l’Islampolitik, erschienen in Il Foglio, 27. April 2017

– Avraham, Rachel: EXCLUSIVE Interview with Yazidi Leader: West to Blame for Our Genocide, erschienen bei ClarionProject.org, 16. Mai 2017